Hermann Otto Theodor Paul

Die frühen Jahre

Hermann Paul kam am 07. August 1846 in Salbke bei Magdeburg als Sohn eines Maurermeisters zur Welt. In Salbke besuchte er die Volksschule, später das Klostergymnasium Unserer lieben Frauen in Magdeburg, wo er 1866 die Abiturprüfung ablegt. Er schreibt sich in Berlin als Philologiestudent ein, wechselt aber schon zum Sommersemester 1867 nach Leipzig, wo er vor allem bei Friedrich Zarncke studierte. Nach eigenem Bekunden (Paul 1922) wurde er auch durch den Romanisten Ebert, den Slawisten Leskien sowie durch Georg Curtius nachhaltig beeinflusst, deren Vorlesungen er hörte. Unter seinen Mitstudierenden fand er insbesondere in Eduard Sievers und Wilhelm Braune anregende Gesprächspartner.

Im August 1870 legte Hermann Paul bei Friedrich Zarncke seine Dissertation zum Thema "Über die ursprüngliche anordnung von Freidanks Bescheidenheit" vor und habilitierte sich bereits 1872 mit der Arbeit "Zur kritik und erklärung von Gottfrieds Tristan".

Im Mai 1874 nahm Hermann Paul den an ihn ergangenen Ruf an die Universität Freiburg als außerordentlicher Professor der deutschen Sprache und Literatur an. Er ist der Nachfolger von Ernst Martin und profitiert bei seiner Berufung u.a. davon, dass der eigentlich als Nachfolger Martins vorgeschlagene Breslauer Privatdozent Amelung plötzlich verstirbt. In seiner Antrittsvorlesung im Dezember 1874 behandelte er das Thema "Mundart und Schriftsprache" (Dokument 1). Im März 1877 wird er zum ordentlichen Professor ernannt.

Hermann Paul in Freiburg

Seine Zeit in Freiburg ist für Hermann Paul im Rückblick mit zahlreiche Schwierigkeiten, die ihn in seiner Arbeit behinderten, verbunden (Paul 1922). Die Studierendenzahlen waren am Ende des 19. Jahrhunderts in den philologischen Fächern sehr niedrig, die finanzielle Ausstattung der Fächer spärlich, so dass Paul sowohl den fehlenden Austausch mit Kollegen als auch die unzureichende Bezahlung beklagte. Sein Gehalt, dass im Jahre 1880 2370 Mark betrug, wurde zwar in den Folgejahren in unregelmäßigen Abständen bis 1888 auf schließlich 4000 Mark (jährlich) erhöht, dennoch entsprach dies an anderen Universitäten lediglich dem Minimalgehalt. Eine Professur in Gießen, die ihm 1888 angeboten wurde, wäre mit 4500 Mark besoldet worden. In seiner Meldung des Gießener Rufs an das Rektorat der Universität Freiburg machte Hermann Paul seiner Unzufriedenheit über seine Arbeitssituation an der Freiburger Universität, die sich nicht nur auf das Gehalt sondern auch auf die Anerkennung der von ihm geleisteten Arbeit bezogen haben muss, deutlich Luft:

"Ich kann zwar nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht annehmen, daß die großherzogliche Regierung auf meine Person und auf das von mir vertretene Fach irgendwelchen Wert legt, doch möchte ich mich nicht dem Vorwurfe aussetzen, daß ich derselben überhaupt keine Gelegenheit gegeben hätte, mich in Freiburg zu halten."

(Dokument 2) und (Dokument 3)

Offensichtlich bemühte sich die Regierung des Großherzogtums Baden darum, Paul in Freiburg zu halten. Er lehnte den Ruf aus Gießen ab und blieb bis 1893 der Universität Freiburg treu. Zum Sommersemester 1893 nahm er dann einen Ruf an die Universität München an, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1916 als ordentlicher Professor für Deutsche Philologie lehrte.

Herausragende wissenschaftliche Leistungen

Auch wenn die Freiburger Jahre für Hermann Paul im Rückblick mit einigen Schwierigkeiten verbunden waren, fallen in diese Zeit doch zahlreiche wichtige Arbeiten Pauls. Seine bereits in der Schulzeit entwickelte Liebe zu althochdeutscher und vor allem mittelhochdeutscher Literatur führte zur Herausgabe mittelhochdeutschen Texteditionen (u.a. zu Hartmann von Aue, Walther von der Vogelweide) und zur Erarbeitung seiner Mittelhochdeutschen Grammatik (erstmals 1881 in Halle erschienen), die noch heute zu den Standardwerken der Mediävistik gehört.

1880 erschienen Pauls "Prinzipien der Sprachgeschichte" in Erstauflage. In diesem für die junggrammatische Schule grundlegenden Werk setzt sich Paul systematisch mit Fragen der Bedeutungslehre und des Sprachwandels auseinander. Kilian (1997) bezeichnet die Prinzipien als Grundlagenwerk, das "die Methodologie und Theorie des Faches nachhaltig gepräg hat" (ebd.: 42). Die Bedeutung des Werks lässt sich zum einen an der Auflagenzahl (Hermann Paul selbst arbeitete noch an der 5. Auflage, die im Jahr 1920 erschien) ablesen, zum anderen an der Übertragung in andere Sprachen. Bereits 1888 kam es zu einer Übersetzung ins Englische durch Herbert Augustus Strong (veröffentlicht 1890). (Eine Neuübersetzung wichtiger Kapitel findet sich in Auer/Murray 2015). Eine geplante französische Übersetzung durch Dr. Karsten, einen Schüler Hermann Pauls aus Genf, wurde nicht vollendet. 1965 erschien eine japanische Übersetzung von Kinosuke Fukumoto.
1960 wurden die "Prinzipien" von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Solomon D. Kaznelson ins Russische übersetzt (Principy istorii jazyka, Moskau: Izd. Inostrann. Lit.).  Kaznelson's Einleitung zeigt das für Rezeption der junggrammatischen Linguistik in der Sowjetunion typische Schwanken zwischen fachlichem Respekt vor einem Grundlagenwerk (deshalb wurde der Text schließlich übersetzt, wenn auch erst 80 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen) und ideologischer Distanzierung vom Positivismus bzw. strukturalistischer Kritik des junggrammatischen Kognitivismus. Sie können die Einleitung HIER in englischer Übersetzung lesen.

Beginnend mit den Principien deutet sich auch ein Wandel in den Forschungsinteressen Pauls an, der sich mehr und mehr von den historischen Sprachstufen des Deutschen ab- und dem Neuhochdeutschen zuwendet. Ergebnis dieser Entwicklung sind das in Freiburg begonnene Deutsche Wörterbuch (1896) und die fünfbändige Deutsche Grammatik (1916-1920), an der er auch nach seiner Emeritierung noch arbeitete.

 


Literatur

Auer, Peter und Robert W. Murray (Hrsg.) (2015): Hermann Paul's Principles of Language History" - Translations and Reflections. Boston/Berlin: de Gruyter.

Auer, Peter (2015): Reflections on Hermann Paul as a Usage-Based Grammarian. In: Auer/Murray (Hrsg.) 177-208.

Fertig, David (2015): Two Conceptions of Analogical Innovation/Change. In: Auer/Murray (Hrsg.) 209-236.

Henne, Helmut; Kilian, Jörg (1998): Hermann Paul: Sprachtheorie, Sprachgeschichte, Philologie. Reden, Abhandlungen und Biographie. Tübingen: Niemeyer (= Reihe Germanistische Linguistik 200).

Hopper, Paul (2015) Hermann Paul's Emergent Grammar. In: Auer/Murray (Hrsg.) 237-256.

Kilian, Jörg (1997): Der Sprachtheoretiker und -historiker. In: Burkhardt, Armin; Henne, Helmut (Hgg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Braunschweig: Ars & Scientia, 35-46.

Murray, Robert W. (2015): In the Beginning was the Sound Image: Paul's Theory of Sound Change. In: Auer/Murray 257-290.

Paul, Hermann (1922): Mein Leben. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 46, 495-498 [Wiederabdruck in Henne/Kilian 1998, 3-6].

Wilhelm Streitberg, Hermann Paul, Indogermanisches Jahrbuch 9, 280-285. (http://www.uni-giessen.de/gloning/at/streitberg_1924_nachruf-hermann-paul.pdf).